Christtag 2009

Predigt zum 1. Christtag 2009

(ev.-luth. Erlöserkirche, Düsseldorf, 25. Dezember 2009)

Predigttext: Titus 3, 4-7

Da aber erschien die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes, unsers Heilandes, nicht um der Werke willen der Gerechtigkeit, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit machte er uns selig durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des heiligen Geistes, welchen er ausgegossen hat über uns reichlich durch Jesum Christum, unsern Heiland, auf daß wir durch desselben Gnade gerecht und Erben seien des ewigen Lebens nach der Hoffnung. Das ist gewißlich wahr. (Luther 1545)

Liebe Gemeinde,

vorgestern erhielt ich Post von der Kirchenleitung: ein Informationspaket. Das übrigens immer sehr nett gestaltet – wir haben doch einen sehr freundlichen Bischof und einen sehr bemühten Kirchenrat, auch wenn die beiden weit weg von Düsseldorf wohnen und wir das so nicht merken. – In der Post war eine Kopie eines Zeitungsartikels über das Predigen.

Da hieß es: Es ist doch langweilig: Wenn der Pastor einen Fussball auf die Kanzel mitbringt, weiß jeder, was da kommt. – (Hier ist der Ball.) Tja – da könnte ich ja gleich aufhören: Ihr wisst ja wie es weitergeht. Oder? Bundesliga? Europapokal? Der hier ist aus Portugal – Weihnachten in Portugal? Mit portugiesischem Fussball? Oder das Fussballspiel zwischen den Studenten unserer theologische Hochschule Oberursel und der Ausbildungsstätte unserer Schwesterkirche in England – unsere Studenten gewinnen immer. Das hört sich doch gut an!

Vielleicht erzähle ich über den Eifer, mit dem Jugendliche Fussball spielen? Nicht schlecht, das wäre vielleicht eine Vorlage für eine Predigt.

Oder: Fussball spielen an Jesu Geburtstag. Blinde Kuh, die Reise nach Jerusalem und Fussball? Naja…

Ach ja ich habe noch etwas aufgelesen. Das kann ich nicht mitbringen, ich will es auch nicht vorführen, sonst kriegen wir den Ohrwurm in den nächsten Stunden nicht mehr aus dem Hirn.

Was ich mitgebracht habe, ist der Text des Hits „Feliz Navidad“. 1970 erschienen gehört er inzwischen zu den weltweit 25 meistgespielten Weihnachtsliedern. Also: Glückwunsch, Jose Feliciano – er stammt aus ärmlichen Verhältnissen, ist seit der Geburt blind – wer wollte ihm den Erfolg nicht gönnen?

Was aber sagt der Text eigentlich?

Feliz navidad
Feliz navidad, prospero año y felicidad
I want to wish you a merry Christmas

„Frohe Weihnachten, ein erfolgreiches Jahr und Glück. Ich möchte euch ein fröhliches Weihnachtsfest wünschen.“ – Wer möchte das nicht? So geht das über drei Minuten lang. Und sonst? Sonst nichts. Ist ja nett, nicht wahr? Wünschen wir uns doch auch. Aber fehlt da nicht etwas? Was bedeutet der Text? Worauf will er hinaus? Wenn man sich auf youtube im Internet ansieht, wie Jose Feliciano den Song singt, fragt man sich plötzlich: „Wo ist denn da Merry Christmas, die tiefe innere Freude?“ Zwischenzeitlich wirkt das Ganze fast trotzig, zum Ende hin ist es vom Interpreten her bloße Show. Kein Wunder – denn wirklich: Das fehlt etwas.

Und – ist das nicht üblich geworden? Das da etwas fehlt zu Weihnachten?

Da gibt es überall Weihnachtsmärkte, die miteinander konkurrieren – Wer ist der Schönste im ganzen Land? Bunte Buden mit winterlichem Dekor, Weihnachtsbaumschmuck und Kerzen, Geschenke, die man noch schnell machen will – das gibt es da zu kaufen. Bratwürste und Glühwein. Ein Schlittschuhbahn in Büderich, Ein nostalgisches Karussell. – Das ist alles schön und stimmungsvoll. Und sicherlich arglos. Wer möchte das missen? Aber ehrlich, könnte das ganze nicht auch einfach Wintermarkt heißen? Was hat das mit Weihnachten zu tun? Fehlt da nicht etwas?

Ja, da fehlt das Entscheidende. Ganz richtig. Denn Weihnachten hat eben nicht mit kaufen und verkaufen zu tun. Und schon gar nicht mit oberflächlichem Dekor. Weihnachten ist keine Zierde des Kirchenjahres. Auch nicht des bürgerlichen Jahres. Aber was genau fehlt? Bevor wir uns das deutlich machen, will ich etwas aus unserem Bibeltext zur Sprache bringen, was gesagt werden muss. Es ist das dogmatische Fundament.

Unser Bibeltext sagt genau das; wir kennen das als Lutheraner, ich will das auch nur kurz sagen: Wenn es heißt, dass wir selig würden „um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit“, dann ist das gerade kein Marktplatz der Vergebung, kein Handel mit unserer Unzulänglichkeit, aus der wir uns freikaufen könnten. Dann ist das ein Geschenk Gottes: Weil er uns liebt, barmherzig ist, also ein warmes Herz für uns hat, darum überlässt er uns nicht unserer lebensgefährdenden und -verachtenden Dummheit (man denke nur an den Klimagipfel von Kopenhagen), sondern will uns ewiges Leben schenken. Sola gratia.

Voran geht unserem Bibeltext übrigens kein Schwamm-drüber, kein Ist-ja-alles-nicht-so-schlimm, kein Ist-doch-egal-was-du-tust-Hauptsache-du-bist-glücklich. Voran geht ihm ein Verhaltenskatalog, der allerdings sehr eindeutig ist. Das müsste man in Ruhe zu Hause einmal nachlesen – als Beichtspiegel. Paulus schreibt: Bist du Christ, dann lebe auch als Christ. Hast du Jesus lieb, nun, da du um seine grenzenlose Liebe zu dir weißt, dann lebe auch aus dieser Liebe. Sei „zu allem guten Werk bereit“. Das führt er dann aus.

Und er sagt: „Unverständig, ungehorsam gegen Gott“ – das war früher. Orientierungslosigkeit: „Wir gingen in die Irre, waren mancherlei Begierden und Gelüsten dienstbar und lebten in Bosheit und Neid, waren verhasst und hassten uns untereinander.“ Das muss Vergangenheit sein. Wahrscheinlich war es das nicht überall, ganz wie heute: Titus ist in Kreta und soll da für Ordnung sorgen, und Paulus schreibt am Anfang dieses Briefes eines überaus heftigen Satz, ein Sprichwort, das sich erhalten hat: “ Es hat einer von ihnen gesagt, ihr eigener Prophet: Die Kreter sind immer Lügner, böse Tiere und faule Bäuche.“

Es muss also kein schön hoch hergegangen sein. Aber Paulus belässt es eben nicht bei abkanzeln und ermahnen. Seine Worte münden in unseren Predigttext, der für uns durch den Kleinen Katechismus Luthers ja auch mit der Taufe verankert ist: Da beginnt das Neue, das Reich Gottes im Menschen. Da wirkt Gott. Der vergeben will, erneuert. Der retten will – das bedeutet das Wort „selig“ im Predigttext – und nicht strafen.

Das ist wirklich Feliz Navidad. – Nur sagt das Lied davon nichts. Es ist wie unsere Weihnachtsmärkte. Wie die vielen sogenannten Weihnachtsfeiern landauf und landab. Gäbe es nicht noch deutsche Advents- und Weihnachtslieder, wir würden von Christus überhaupt nichts mehr dabei vernehmen. Feste nicht des Gedenkens der Geburt Jesu, sondern der Geburt der Rührseligkeit. Christus – wird er nicht herausgedrängt? Lassen die Menschen ihn nicht einfach heraus aus seinem Geburtstag? Aus der ganzen Weihnachterei? Aus den Advents- und Weihnachtsfeiern?

Man muss schon sehr feine Ohren haben und sehr viel mitbringen, um Christus noch zu entdecken. Joseph von Eichendorffs – unsere Kirche hat seinen Namen als Adresse – „Markt und Straßen stehn verlassen“ wird immer noch vorgetragen. Eichendorff war ein gläubiger Christ. Wie heisst es in seinem Gedicht?

1. Markt und Straßen stehn verlassen,
Still erleuchtet jedes Haus,
Sinnend geh ich durch die Gassen,
Alles sieht so festlich aus.

2. An den Fenstern haben Frauen
Buntes Spielzeug fromm geschmückt,
Tausend Kindlein stehn und schauen,
Sind so wunderstill beglückt.

3. Und ich wandre aus den Mauern
Bis hinaus ins freie Feld,
Hehres Glänzen, heil’ges Schauern!
Wie so weit und still die Welt!

4. Sterne hoch die Kreise schlingen,
Aus des Schnees Einsamkeit
Steigt’s wie wunderbares Singen
O du gnadenreiche Zeit!

Ich will jetzt nicht das Gedicht erklären. Aber auf Einiges sei doch hingewiesen. Christus wird nicht benannt. Aber angedeutet. Nur – wer versteht die Andeutung noch? Wer fragt nach, was mit der Gnade der „gnadenreichen Zeit“ gemeint ist? Wer versteht, dass die Weite der Welt die Weite der von Christus befreiten Seele ist? Wer kennt noch den Psalmisten: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum?“ Wer sieht, dass das Glänzen unbeschränkt ist: Die ganze Welt ist davon erfasst. Gilt nicht auch die Weihnachtsbotschaft allen?

In unserer Zeit wird uns immer noch suggeriert, dass zumindest der christliche Glaube Privatsache sei – über Kopftücher wird diskutiert, und über Minarette gibt es mittlerweile Volksabstimmungen. Aber über Christus reden wir möglichst nicht öffentlich. Und so haben wir Jesus Christus aus dem Volksbrauchtum immer weiter entfernt.

Die Weihnachtsmärkte und -feiern laufen ohne ihn. Es wird gegessen, nicht nur Weihnachtsgebäck, sondern üppig und reichlich. Wer weiss noch, dass die Lebkuchen eine kulinarische Freundlichkeit waren, die wegen der Kälte harte vorweihnachtliche Fastenzeit etwas erträglicher zu machen?

In der Vorgärten leuchten Lichterketten, ebenso in den Innenstädten. Erinnern wir uns Krefeld wollte allen christlichen Bezug aus dem städtischen Weihnachtsschmuck verbannen. Den einzelnen Geschäften blieb es vorbehalten, christliche Symbole aufzustellen – Glaube ist eben Privatsache, auch wenn die Mehrheit dahintersteht…

Im Radio dudeln internationale Weihnachtslieder, die genau besehen von allem reden, nur nicht vom Wunder der Heiligen Nacht. Vom Schnee erzählen sie (Jingle Bells), vom Spaziergang im weißen Winter (Weißer Winterwald/Winter Wonderland), von der Liebe zwischen Mann und Frau (Last Christmas) usw.

Nur von der Liebe Gottes zum Menschen reden wir nicht. Von Christus reden wir nicht. Dabei gäbe es ohne ihn alles dieses überhaupt nicht.

Noch ist ein schwacher Abglanz vorhanden von der biblischen Botschaft. Noch ist Christus nicht völlig entfernt. Gewiss, wir Menschen könnten das machen. Und viele haben es ja schon getan.

Ja, wir können versuchen, Gott aus unserer Wahrnehmung zu entfernen. Aber Gott selber – ihn können wir nicht entfernen. Weihnachten könnten wir vergessen machen – wie in der DDR versucht – aber nicht das Weihnachtsgeschehen vor 2009 Jahren. Diktatoren aller Couleur versuchen, die Botschaft zum Verstummen zu bringen. Gelungen ist das bisher nie. Unabhängig von unserem Gefühl weihnachtlicher Empfindsamkeit geht es immer weiter, ertönt die Botschaft Jahr um Jahr neu. Was immer Menschen an Weihnachten feiern – jedes Weihnachtsfest ist völlig unabhängig von uns eine Erinnerung daran, was Gott in seiner Liebe zu uns getan hat. Das er sich in Jesus gering gemacht hat, wie wir geworden ist, gezeigt hat, dass er uns versteht, uns meint und uns zu sich ziehen will.

Was Paulus an Titus schrieb, ist eine Tatsache: „Es erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands“.

Tatsächlich: Wenn es auch bisweilen anders scheint: Gott ist in Christus zu uns gekommen. Freundlichkeit – Gott meint es gut mit uns. Menschenliebe – Er liebt uns, auch und gerade wenn und weil wir dessen nicht wert scheinen.

Und diese Liebe und Güte – sie wird Mensch, wie wir gleich singen werden:

3. Er äußert sich all‘ seiner G‘ walt,
Wird niedrig und gering,
Und nimmt an sich ein‘ s Knechts Gestalt,
Der Schöpfer aller Ding‘.

4. Er wechselt mit uns wunderlich:
Fleisch und Blut nimmt er an
Und gibt uns in sein‘ s Vater Reich
Die klare Gottheit dran.

Jetzt hätte ich fast den Fussball vergessen. Dabei ist es jetzt ganz klar: Man kann zweiundzwanzig Spieler haben, elf für jede Mannschaft – es könnten sogar weniger sein. Ein Schiedsrichter braucht man – aber auch ohne Schiri ist das unter Jungens zu regeln.

Aber eines braucht man auf jeden Fall: den Ball. Ohne Ball geht Fussball nicht. Und ohne Christus geht Weihnachten nicht. Es ist ohne bestenfalls ein Fest, ein Innehalten. Es mag ein Familienfest sein, wenn es gut geht, bleibt der Weihnachtsfrieden sogar erhalten, alle bleiben geduldig, keiner streitet.

Aber ohne Jesus ist es kein Weihnachten. Ohne die Botschaft von der Liebe Gottes zu uns fehlt gewissermaßen der Ball. Ohne die Botschaft geschieht nichts. Leben werden nicht verändert, niemand wird erlöst in die Ewigkeit. Da kommt kein Licht in die Finsternis um mit Johannes zu sprechen: Es bleibt dunkel. Richtig dunkel. Zappenduster.

Der Schiedsrichter wirft den Ball: Das Spiel beginnt. Der Weltenrichter „wirft“ seine Gnade: Das Leben kann beginnen. Im Gegensatz zum Fussball gibt es hier für jeden einen „Ball“, also Gnade genug. Die kommt nicht immer geradlinig an, aber wenn Menschen sich dafür öffnen, da schon. – Ich kann nicht besonders gut werfen, muss ich dazu sagen. Ich verstehe das mit dem schiefen Werfen – da muss sich der andere recken, um den Ball zu fangen. Sich ihm zuwenden. Wenn er es will.

Ähnlich ist es mit der Gnade Gottes. Wie soll seine Gnade uns erreichen, wenn wir uns nicht ihm zuwenden? –

Darf man in der Kirche einen Fussball werfen? Also – früher durfte man das bestimmt nicht. Das war ein Skandal. Das widersprach dem menschlichen Denken. Der Finsternis unserer Rechnungen: Auge um Auge.

Dem aber widerspricht Jesus. Dem widerspricht Weihnachten. „…damit wir, durch dessen Gnade gerecht geworden, Erben des ewigen Lebens würden nach unsrer Hoffnung.“

Ein so großes Geschenk, dass man überhaupt nicht begreifen kann. Nur annehmen. Aus Gnaden gerecht. Erben des ewigen Lebens: du bekommst es.

Gott wirft dir den Ball zu: Christus ist deshalb gekommen. Für Dich.

Und wenn so das Weihnachtsfest seine Mitte wiedergewonnen hat: wenn Christus dort bei dir steht, dann darfst du alle diese schönen Dinge tun wie viele Kerzen anzünden auf dem Schwibbogen, an der Weihnachtspyramide, am Weihnachtsbaum, du darfst Weihnachtsgebäck essen, Glühwein trinken.

Denn nun hast du erneut den Fussball von Weihnachten festgehalten:

1. Lobt Gott, ihr Christen, alle gleich
In seinem höchsten Thron,
Der heut‘ schließt auf sein Himmelreich
Und schenkt uns seinen Sohn.

Amen.

 

Pfr Winfried S. Küttner, PhD

Erlöserkirchengemeinde Düsseldorf
Eichendorffstr. 7
40474 Düsseldorf

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