Die süßeste Versuchung – oder Anfechtung?

Am Sonntag Invokavit, dem ersten Sonntag der Fastenzeit, steht das Nachdenken über die Versuchung im Mittelpunkt. Damit ist aber auch die Frage nach dem Sinn des Fastens angesprochen. Die Lesung aus dem Evangelium berichtet von der Versuchung Jesu. Mit dem Hebräerbrief danken wir Gott, dass wir in Jesus einen Hohenpriester haben, der – selber ohne Sünde – durch sein Opfer für uns die Erlösung gewirkt hat. Nur im Blick auf diesen Hohenpriester können wir, die wir immer die Macht der Versuchung erfahren und ihr unterliegen, getrost leben.

Wer versucht einen jeden von uns? Und wozu? Die Frage stellt sich unmittelbar. Unser Predigttext gibt darauf eine Antwort.

Zugleich ist der Sonntag heute der Gedenktag Puseis, einer der 31 seligen Märtyrer von Persien. Er hielt an seinem Bekenntnis zu Christus fest, auch nachdem er bereits die grausame Hinrichtung von 102 Christen, darunter auch sein Bischof und die Metropoliten, mit ansehen musste. Er wollte Gott alleine anbeten, nicht die Sonne des Zoroastrismus. Die Parsen hielten die Sonne für ewig – und damit war sie ihnen Gott, Pusei aber wusste, dass sie eine Schöpfung Gottes ist. Seine Worte des Bekennens sind uns überliefert. „Ich bekenne unsere, der Christen, Religion vor deiner Majestät und schäme mich nicht. Denn es lehrt uns einer der Diener Gottes: „Ich will reden in Gerechtigkeit vor dem König und mich nicht schämen.“ Und Christus, den ich bekenne, sagt: „Wer sich meiner und meiner Worte schämt, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen.“ Sie wurden in den sogenannten Märtyrerakten überliefert. Der König, der Pusei sehr schätzte, versuchte alles ihm mögliche, ihn zur Umkehr zu bewegen. „Der König befahl dem Großmôpêt: „Gehe rasch jenem Unseligen (Pusei) nach und bemühe dich, ihm zu raten, dass er unseren Willen tue und lebe und nicht sterbe. Denn er ist ein meiner Regierung sehr nützlicher Mann. Ich habe ja geschworen, mit ihm über diese Sache nicht mehr zu reden. Aber geh du und bemühe dich an ihm aus ganzer Seele. Wenn er die Sonne nur einmal anbetet, soll er leben.“

Aber Pusei blieb standhaft.

„Wenn du mit deinem Munde den Herrn Jesus bekennst und in deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn aus den Toten erweckt hat, wirst du leben.‘ Und: ‚Niemand ist, der sich selbst lebt, und niemand aus uns, der sich selbst stirbt; denn wenn wir leben, so leben wir dem Herrn und, wenn wir sterben, so sterben wir dem Herrn; ob wir also leben oder sterben, des Herrn sind wir.‘ Deshalb auch ist Christus gestorben, wieder lebendig geworden und auferstanden, dass er sei der Herr der Toten und der Lebenden.“Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Dir, ihm und dem Heiligen Geist sei Lob, Ehre und Preis, jetzt und jederzeit und in Ewigkeit der Ewigkeiten. Amen.“

Das Martyrium geschah im Jahr 344. In den folgenden zwanzig Jahren wurde ca. 16.000 Christen hingerichtet. Diese Jahre der Verfolgung bewirkten eine Massenflucht von Christen aus Persien.

Die Leiber dieser Christen wurden getötet, nicht aber ihre Seelen. Das Volk Gottes ist nicht kleiner, sondern größer geworden. Klein ist die Religionsgemeinschaft der Parsen geworden.

Trotz allen Elends, trotz dieser schrecklichen Ereignisse – der Wochenspruch stimmt:

Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, dass er die Werke des Teufels zerstöre. (1. Joh 3, 8b)

Brief des Jakobus 1, 12-18

12 Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, welche Gott verheißen hat denen, die ihn lieb haben. 13 Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht niemand. 14 Sondern ein jeglicher wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust gereizt und gelockt wird. 15 Darnach, wenn die Lust empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert sie den Tod. 16 Irret nicht, liebe Brüder. 17 Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei welchem ist keine Veränderung noch Wechsel des Lichtes und der Finsternis. 18 Er hat uns gezeugt nach seinem Willen durch das Wort der Wahrheit, auf dass wir wären Erstlinge seiner Kreaturen.

Nun hat sie wieder begonnen, die Fastenzeit. Ja, auch Christen haben eine Fastenzeit, nicht nur Moslems.

Die Rheinische Post hat ja sogar sich über das Fasten ausgelassen. Aber da gibt es wohl ein kleines Missverständnis: Die christliche Fastenzeit hat nichts mit Schönheitsdiäten zu tun.

Und Jesus? Was sagt er dazu? Er hat sich so indirekt über das Fasten geäußert, dass es bei den meisten Christen schlechterdings weggefallen ist. Da heißt es bei Matthäus (K. 6, 16ff) „Wenn ihr fastet, setzt keine Leidensmiene auf wie die Heuchler. Sie vernachlässigen ihr Aussehen, damit die Leute ihnen ansehen, dass sie fasten. Ich sage euch: Sie haben ihren Lohn damit schon erhalten. Wenn du fastest, pflege dein Haar und wasche dir das Gesicht wie sonst auch, damit die Leute dir nicht ansehen, dass du fastest; nur dein Vater, (also Gott)… soll es wissen.“(NGÜ)

Das sind leider keine klaren Regeln. Aber es ist ein deutlicher Hinweis: Fasten ist keine rekordverdächtige Disziplin – wer fastet mehr und strenger -, es hat hier auch nichts mit körperlicher Schönheit zu tun,  sondern es hat etwas mit deinem persönlichen Gottesverhältnis zu tun. Wir haben in der SELK die Aktion „7 Wochen mit“. Wer mit der Fastenzeit nichts anfangen kann, der mag sich hier anregen lassen. Sieben Wochen mit mehr Hinwendung zu Gott. Und da der Tag nur 24 Stunden hat, sowohl in der Fastenzeit wie auch danach, heißt das zugleich „7 Wochen weniger“ Hinwendung zu – ja wozu? Da schreibe ich ganz unverfroren: Das musst du dann mit Gott ausmachen.

Manche machen sich das leicht. Dieses „Fasten-leicht gemacht“ begegnet uns   allerorten.

Aber es führt uns zugleich zum Thema führt.

Da soll man in der Zeit bis Karfreitag auf etwas verzichten. Zum Bespiel auf Schokolade. Ich gebe zu: Das wäre für mich wirklicher Verzicht. Ich glaube, ich bin zu Schokoholic geboren. „Die zarteste Versuchung, seit es Schokolade gibt“ – diesen Werbeslogan kann ich nachvollziehen. Und da bin ich bestimmt nicht der einzige hier.

Bedeutet Fasten also „Versuchungen nicht nachzugeben“? – „Selig ist der Mann, der die Versuchung erduldet“, wie wir so ungefähr eben gehört haben?

Nach der lateinischen Bibel kann man tatsächlich so übersetzen: die Versuchung. Aber Luther und viele andere übersetzen den griechischen Urtext etwas anders: nicht bloß die Versuchung, sondern die Anfechtung.

Und das ist dann doch deutlicher als „Versuchung“. Vor allem ist der Begriff nicht so abgenutzt. „Du bist die süsseste Versuchung, obwohl es Schokolade gibt.“- so im sozialen Netzwerk. „Die süßeste Versuchung, seit es Männer gibt“ – so ein Buchtitel.

Anfechtung – da klingelt es bei den Juristen unter uns. Eine Anfechtung, so habe ich gelesen, versucht, einen Un/Rechtszustand zu beseitigen. Angefochten wird eine Behauptung: Da wird mir unterstellt, ich habe einen Kollegen als „Vollpfosten“ bezeichnet – und wer weiß noch was. Ich werde angeklagt. Ich fechte das an: Stimmt nicht, habe ich nicht gesagt. Es ist Unrecht, das zu behaupten.

Nun, wie auch immer, Anfechtung – das ist ein Rechtsbegriff. Anfechtung: das bedeutet, ich soll dahin gezogen werden, wo ich nicht hingehöre, nie war und hinkommen will.

Und jetzt, so finde ich, hat der Satz eine viel eindeutigere Aussage: „Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet.“ Denn das heißt doch: Da will uns jemand aus unserem christlichen Glaubensstand herausziehen. So wie Jesus, als er in der Wüste fastete. Aus unserem Bekenntnis zur Wahrheit, die in Gott ist, zur Unwahrheit bringen. So wie Puseis, des persischen Märtyrers Anfechtung: Ihm wurde der Zaroaster-Glaube unterstellt, sein Bekenntnis zu Gott wurde angefochten. Und er? Er blieb standhaft. Er blieb Christ. Er bekannte sich zu Gott.

So hat sich Jakobi Satz an ihm erfüllt: „Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, welche Gott verheißen hat denen, die ihn lieb haben.“

Pusei wich nicht, nicht einen Zentimeter. Und – so glauben wir – empfing er die Krone des Lebens – ein Bild für das ewige Leben bei Gott. Er hatte Gott lieb, lieber als seine Bequemlichkeit eines angenehmen Lebens bei Hofe. Pusei war ziemlich weit oben auf der Erfolgsleiter. Er hatte viel zu verlieren. Genau wie andere Christen heute, die verfolgt werden. Pusei aber blieb bei seiner Liebe zu Gott.

Was sollen wir unter Liebe hier verstehen? „Liebe“ ist die Antwort auf Joh 3, 16 – wir finden hier das gleiche Wort im griechischen Urtext: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Eine hingebende Liebe also, wie die Nächstenliebe als Antwort des Christen, der Gottes Liebe erfahren hat; zugleich eine Achtung, eine Hochachtung.

So haben wir jetzt etwas verstanden, nicht wahr? Versuchung ist nicht so etwas Billiges wie Schokolade essen oder nicht essen. Es ist Anfechtung: Wir sollen von Gott weggezogen werden. Und da beginnt wohl rechtes Fasten: Wir sollten uns prüfen, wer oder was uns von Gott wegziehen will, unser Glauben anfechten, seine Rechtmäßigkeit bestreiten will.

Sicher, das kann eine Sucht sein, weniger die Schokolade, aber sicher der Alkohol, in großen Mengen genossen, der das Leben von Menschen in Unordnung bringen kann, dass sie tief stürzen, tief fallen – so tief, dass sie vergessen, dass Gott sie auch noch da auffangen kann und will.

Pusei hat das so ausgedrückt, vor dem König, und wir dürfen „deinen Willen“ übertragen für uns mit „den Willen, die Gebräuche unserer Gesellschaft“: „In allem tun die Christen deinen Willen, wenn er mit dem Willen Gottes übereinstimmt. Widerspricht er ihm aber, so dürfen sie deinen Willen als Christen nicht tun.“ –

Nun fangen wir Menschen ja gerne das Schuldverdränge-Spiel an, und wir benehmen uns überaus kleinkariert: „Nicht ich war es, ein anderer hat es getan.“

Also denken wir, wenn unser Glaubensstand angefochten wird, wenn wir versucht werden, etwas zu tun, was wir nicht tun sollten, dann war das von Gott.

Ach – von Gott? Dann plötzlich soll es von Gott gewesen sein. Schönes Wetter ist eine Selbstverständlichkeit, da vergessen wir glatt, uns bei Gott zu bedanken, aber ein Unwetter – plötzlich ist es eine Strafe Gottes. Aids – na klar, eine Strafe Gottes! Tatsächlich?

Zum einen weist uns Jakobus heftig zu recht: Du, du selber hast es Dir eingebrockt.

„Sondern ein jeglicher wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust gereizt und gelockt wird.“

Das wusste Paul Gerhard besser als die Schuldverdrängespieler: „Ich, ich und meine Sünden,/Die sich wie Körnlein finden/Des Sandes an dem Meer, Die haben dir erreget/Das Elend, das dich schläget,/Und das betrübte Marterheer.“

Wir selbst brocken uns manches ein, wir sind es Schuld, inzwischen ja sogar manches Unwetter, und Christus ist es, der uns da heraushilft, der sich statt unserer hat schlagen, ja kreuzigen lassen.

Also: Nichts verdrängen, sondern frei bekennen. Gott versucht niemanden. Gott ficht niemandes Bekenntnis an.

Anderes zu behaupten ist schon geradezu Gotteslästerung. Wer ist Gott denn? Ein Kaufmann an der Ecke, wie es sie früher gab, die dann die Schuld anschrieben und auf den Pfennig genau abrechneten? Ein Pfeffersack, der seine Liebe und Vergebung in 5-Cent-Stücken herausgibt? Oder ist er der großer Schöpfer aller Dinge, ja, des ganzen Universums?  Lassen wir uns nicht irre machen, unseren Glauben nicht anfechten, den wir doch bekannt haben: „Ich glaube an Gott, den Allmächtigen, Schöpfer Himmels und der Erde.“

Schöpfer – das kann man sich ja kaum klar machen. Versuchen wir es an zwei Beispielen. Schon eine Badewanne mit Wasser zu füllen ist mühsam, wenn man das Wasser selbst aus dem Brunnen holen muss. Und dann stehst du an der Nordsee: Wasser, Wasser, Wasser.

Du kannst Dein ganzes Leben getrost schöpfen – du wirst die Nordsee nicht leeren! Wahrscheinlich auch den Düsseldorfer Unterbacher See nicht. Oder das Universum: Seit 1977, seit der grauen Vorzeit des vergangenen Jahrhunderts, also seit 37 Jahren, fliegen zwei Sonden in das Universum hinaus. Wahrscheinlich – bislang wissen wir es nicht einmal genau, weil es scon so weit weg ist, wahrscheinlich im vorletzten Jahr hat die erste der Beiden unser Sonnensystem verlassen. Unser System. Wenn die beiden durchhalten, können sie immer weiter fliegen, immer weiter, da ist noch viel Raum im Universum…Das hat Gott geschaffen, in diesen Dimensionen handelt er, und da sollte er auf den mickrigen Gedanken kommen, dich zu versuchen…

So kann das jetzt verstehen: „…der Vater des Lichts, bei welchem ist keine Veränderung noch Wechsel des Lichtes und der Finsternis.“ So wird hier die Größe Gottes, sein Anders-sein als unser Leben und unsere Vorstellung ausgedrückt.

Jakobus: „Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht niemand.“ Ich denke, da hat Jakobus unser Denken gut zurechtgerückt.

Und du kannst auch verstehen, was das heißt: „Darnach, wenn die Lust empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert sie den Tod.“

Lassen wir unseren Glauben erfolgreich anfechten, verlieren wir nicht nur das wirkliche Leben hier. Wir verlieren Gott – und damit das ewige Leben.

Nun gibt uns Gott durch Jakobus noch ein klares Wort des Zuspruchs. Du, der du angefochten bist, du bist der Anfechtung nicht Preis gegeben. Irgendwo zu Hause hast du das auf einem Papier schwarz auf weiß! Du bist getauft: Wiedergeboren in Gott, wie Jakobus sagt: „Er hat uns gezeugt nach seinem Willen durch das Wort der Wahrheit“. Das Wort der Wahrheit: die Taufe. Und damit sind wir Erstlinge seiner Kreaturen. Erstlinge: Das Wort stand in antiken Geburtsurkunden. Wer Kind ist, ist auch Erbe. Gott setzt uns in eine solche Stellung ein. Was erben wir? „Wer glaubet und getauft wird, der wird selig werden.“(Mk 16,16). Gott beschenkt die Seinen. Sein Geschenke – und ein Geschenk erarbeitet man sich nicht – ist die vollkommene Gabe der Ewigkeit bei ihm.

Das wusste und glaube Pusei, das glaubten alle anderen, die sich lieber abschlachten liessen, als Gott zu verleugnen, die aus dem gleichen Grund lieber ihre Heimat verliessen – und verlassen, Christen in vielen Ländern dieser Welt: „Selig … der Mann – und die Frau, die die Anfechtung erdulden.“ Ja, die Anfechtung wird immer sein – wir leben auf Erden und nicht im Paradies -, aber da ist immer unser himmlischer Vater, der darum weiß, der uns auch die Kraft zum Widerstehen geben will. Er versucht uns nicht, er will die Sünde nicht und schon gar nicht unseren ewigen Tod.

Er will, dass wir leben. Jetzt und in Ewigkeit. Er fragt nach unserer Liebe. Er bittet geradezu darum, dass wir uns ihm – und unserem Nächsten – zuwenden. Damit er uns krönen kann. Um Christi Willen.

Amen.

 

Pfr Winfried S. Küttner, PhD

Erlöserkirchengemeinde Düsseldorf
Eichendorffstr. 7
40474 Düsseldorf

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