Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ, / ich bitt, erhör mein Klagen; / verleih mir Gnad zu dieser Frist, / lass mich doch nicht verzagen. / Den rechten Glauben, Herr, ich mein, / den wollest du mir geben, / dir zu leben, / meim Nächsten nütz zu sein, / dein Wort zu halten eben. (Johannes Agricola, 1526/27)
(Gnad– Gnade statt Verurteilung: Wer kann ohne Gnade vor Gott bestehen…
zu dieser Frist = in dieser (meiner) Lebenszeit
den rechten Glauben: ursprünglich „den rechten Weg“. Das Leben eines Christen ist ein Glaubensweg zu Gott hin. Die ersten Christen wurden als Anhänger des neuen Weges bezeichnet. Darin wird deutlich, das Glauben weder tot noch lebensfern ist. Wer glaubt, der läßt sich von Gott (in seinem täglichen Leben leiten.
meim Nächsten nütz zu sein: (meim=meinem) Das lässt sich ebenso auf „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ wie auch auf die Auslegung zum 5. Gebot in Luthers Kleinem Katechismus beziehen. Da heißt es:
Du sollst nicht töten.
Was heisst das?
Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unserm Nächsten an seinem Leibe keinen Schaden noch Leid tun, sondern ihm helfen und beistehen in allen Lebensnöten.
Der neue Weg der Christen ist geboren aus Gottes Liebe und Vergebung. Christen bemühen sich, (Nächsten-) Liebe und Vergebung zu leben. Dabei bleiben sie Menschen mit Fehlern in Unvollkommenheit.
Nun wirkt das alles so, als sei mit dem richtigen Tun das Christentum definiert. Tatsächlich aber sind die grundlegenden Aussagen ganz andere.
Da heißt es: „Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ.“ Glauben ist gelebtes Vertrauen in Jesus, in das, was er für uns getan hat und noch immer tut. Davon versteckt sich etwas in dem Wort „Gnade“. Christen leben unter der Gnade Gottes. Gott will unser Wohlergehen, unser Heil. Er will uns helfen. Das Verdammen ist nicht das Ziel seines Handelns!
Interessant auch: Agricola bittet um den rechten, den richtigen Glauben. Der ist immer Geschenk Gottes. Kein Mensch kann das selber machen. Für viele Menschen hat es aber genau so begonnen: Sie haben Gott um Glauben in Jesus Christus gebeten, oftmals lange, oftmals auf den Knien und mit Tränen. Aber dieses Gebet – warum er sollte er es nicht erhören? Es käme auf den Versuch an….
(Zum Liedtext siehe auch die Bach-Kantate und die Kirchenlied – Komposition von Bach, Klavierfassung. Die schlichte gesungene Fassung leidet leider an der Aufnahmetechnik…Schade.)